„Ohne Frauen ist kein Staat zu machen!”

Informationsstand der „Frauen für den Frieden“ während der Friedenswerkstatt 1983 in der Ost-Berliner Erlöserkirche

Informationsstand der „Frauen für den Frieden“ während der Friedenswerkstatt 1983 in der Ost-Berliner Erlöserkirche

Als im Herbst 1989 tausende Menschen auf den Straßen in der DDR gegen das SED-Regime protestierten, waren unter ihnen viele Frauen. Es war auch ihr Engagement, das die Mauer und schließlich das Regime zum Einsturz brachte. Anlässlich des Frauengeschichtsmonats März blickt das Team des Berliner Aufarbeitungsbeauftragten auf die Rolle und das Engagement von Frauen während der Friedlichen Revolution zurück.

Das SED-Regime beobachtete, „zersetzte“ und inhaftierte seine Gegnerinnen und Gegner. Dennoch wandten sich Menschen immer wieder gegen die Herrschaft der Staatspartei. Sie verfolgten unterschiedliche Motive und Zielsetzungen. In den 1980er-Jahren kritisierten v. a. Friedens- und Umweltgruppen das Regime. Sie prangerten die Zerstörung der Natur und die Militarisierung der Gesellschaft an und kämpften u. a. um die Einhaltung von Menschenrechten wie Meinungs- und Pressefreiheit. In vielen Gruppen gestalteten Frauen den Weg zur Friedlichen Revolution 1989/90. Sie schufen sich auch eigene Räume des Austausches und wollten damit die Dominanz männlicher Sichtweisen und Stimmen durchbrechen, ihre eigenen Themen setzen, eigene Positionen entwickeln und Aktionen planen. DDR-weit entstanden in den 1980er-Jahren über 100 Frauengruppen mit unterschiedlichen Themenschwer-punkten, darunter Friedensarbeit, Umweltschutz, Menschenrechte und Feminismus.

Die Frauen für den Frieden

Im März 1982 erließ das SED-Regime ein neues Wehrdienstgesetz. Zum ersten Mal sollten im Verteidigungsfall und während der Mobilmachung Frauen in die allgemeine Wehrpflicht einbezogen werden. Für einige Frauen war dies der Auslöser, ihre Stimme zu erheben und sich aktiv gegen diese und andere Regeln des SED-Regimes aufzulehnen. Sie schlossen sich zusammen und engagierten sich, angelehnt an westdeutsche Friedensgruppen, als „Frauen für den Frieden“. Als Gründungsakt der „Frauen für den Frieden“ Ost-Berlin gilt eine Eingabe an den Staats- und Parteichef Erich Honecker im Oktober 1982. Sieben Frauen – Bärbel Bohley, Katja Havemann, Almut Ilsen, Irena Kukutz, Ulrike Poppe, Bettina Rathenow und Karin Teichert – hatten den Text verfasst, in dem sie gegen das neue Wehrdienstgesetz protestierten und ein Gespräch mit Honecker einforderten. Mehr als 150 weitere Frauen unterschrieben den Brief. Eine Antwort vom Staats- und Parteichef erhielten sie nicht.

Das SED-Regime versuchte, die Unterzeichnerinnen einzuschüchtern: Am 24. November 1982 suchten SED-Mitglieder alle Frauen zu Hause oder am Arbeitsplatz zu einem persönlichen Gespräch auf. Dies war kein Dialog auf Augenhöhe. Die Frauen wurden unter Druck gesetzt und sollten ihre Unterschrift zurückziehen. Die Gespräche kamen für die Frauen überraschend, sodass sie sich nicht miteinander abstimmen konnten. Sie mussten sich allein zur Wehr setzen, dennoch zog keine der 150 Frauen ihre Unterschrift zurück.

"Seid doch laut!"

Mitschnitt der Buchvorstellung zum Buch „Seid doch laut!“, das Erfahrungsberichte der Frauen für den Frieden sammelt
Screenshot des YouTube-Videos "Seid doch laur"

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Mitschnitt der Buchvorstellung zum Buch „Seid doch laut!“, das Erfahrungsberichte der Frauen für den Frieden sammelt

Die Lesben in der Kirche

Mitte der 1980er-Jahre fanden sich auch vereinzelt oppositionelle Gruppen mit feministischem Anspruch zusammen. Aufgrund der gesetzlich verankerten Gleichstellung von Mann und Frau bot sich für Frauen in der DDR eine andere Ausgangslage als in der Bundesrepublik, mit anderen Problemen und Streitpunkten. Zu den feministischen Gruppen zählten u. a. die „Lesben in der Kirche“ (LiK). Einige Frauen trafen sich ab 1982 zunächst privat und arbeiteten dann kurze Zeit als „Arbeitskreis Homosexuelle Selbsthilfe“ mit schwulen Männern zusammen. Spätestens im November 1983 gründete sich der „Arbeitskreis Homosexuelle Selbsthilfe: Lesben in der Kirche“, der gegen die Diskriminierung lesbischer Frauen und die patriarchalen Strukturen in Staat und Gesellschaft der DDR kämpfte. Einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirche boten den LiK für ihre politische Arbeit sichere Räume. Die LiK versuchten auch, staatliche Räume mit ihren Themen zu besetzen. Die Frauen wollten aber ihre feministische Kritik am Staat nicht aufgeben und u. a. deshalb scheiterte dieser Versuch. „Gemeinsam sind wir unerträglich“ war einer der Slogans der LiK. Dahinter stand der Anspruch, die patriarchale Gesellschaft der DDR immer wieder mit Aktionen zu stören.

Nach der Gründung der Gruppe in Ost-Berlin fanden sich DDR-weit Lesben – vor allem in kirchlichen Kontexten – zusammen. Sie vernetzten sich, sodass im Jahr 1988 die erste DDR-weite Lesbenwerkstatt stattfand. Die LiK bestanden bis zum Ende der DDR, viele von den Frauen engagierten sich später in Gruppen wie dem „Unabhängigen Frauenverband“.

Die „Lesben in der Kirche“ an ihrem Stand im Rahmen der Friedenswerkstatt auf dem Gelände der Erlöserkirche, 1985

Die „Lesben in der Kirche“ an ihrem Stand im Rahmen der Friedenswerkstatt auf dem Gelände der Erlöserkirche, 1985

Repression und Verfolgung

Viele Frauen, die sich in den 1980er-Jahren in DDR-Oppositionsgruppen engagierten, erlebten staatliche Repression: Stasi-Verhöre, abgehörte Telefonate oder Verhaftungen. Zunächst schien es so, als nehme das SED-Regime weibliches Engagement weniger ernst. Die Stasi führte viele „Frauen für den Frieden“ in den „Operativen Vorgängen“ ihrer Ehemänner oder Lebenspartner mit, die sich oft ebenfalls oppositionell engagierten. 1985 eröffnete die Geheimpolizei den „Zentralen Operativen Vorgang“ mit dem Decknamen „Wespen“. Dort sammelte sie Informationen über Frauenfriedensgruppen in der DDR und legte Maßnahmen gegen diese fest. Je lauter und öffentlich sichtbarer sich Frauen äußerten, desto größer wurde die Aufmerksamkeit des SED-Regimes und seiner Geheimpolizei.

Die Stasi versuchte, alles über die Frauen und ihre Aktionen in Erfahrung zu bringen, Schwächen zu nutzen und Zwietracht zu sähen. Sie platzierte Frauen in den Gruppen, die Informationen beschaffen und auf die Gruppe Einfluss nehmen sollten und führte diese als „Inoffizielle Mitarbeiter“ (IM). Eine davon war Monika Haeger (IM „Karin Lenz“). Seit 1982 war sie bei den „Frauen für den Frieden“ aktiv und knüpfte viele enge Kontakte in die DDR-Opposition. Regelmäßig berichtete Monika Haeger an die Stasi. Anfang 1989 äußerten einige der „Frauen für den Frieden“ den Verdacht, dass ihre Mitstreiterin für die Geheimpolizei arbeite. Diese stritt ihre Tätigkeit monatelang ab, doch der Verdacht wurde nicht ausgeräumt. Im Juni offenbarte Monika Haeger ihr Doppelleben.

Oppositionelle kannten die Gefahren ihres Engagements. Sie entwickelten Strategien, um sich so gut wie möglich vor staatlicher Repression zu schützen. So hielten sie Diskussionen und Ergebnisse ihrer Treffen in der Regel nicht schriftlich fest. Notizen versteckten sie oder lagerten sie außerhalb der eigenen Wohnung. Am Telefon besprachen sie nur das Allernötigste, denn sie wussten, dass die Staatssicherheit mithörte. Insbesondere Mütter, auch in der DDR häufig in der Verantwortung für die Kinder, sorgten vor: Sie stellten Vollmachten für Freundinnen und Freunde oder Verwandte aus. Sie sollten im Falle einer Verhaftung die Verantwortung für die Kinder übernehmen dürfen, um die Unterbringung in einem staatlichen Kinderheim zu verhindern. Mütter in der Opposition bewegten sich in einem besonderen Spannungsfeld: Einerseits wollten sie ihre Kinder schützen, andererseits war ihr Engagement auf eine lebenswerte und bessere Zukunft auch für ihre Kinder gerichtet. Die Stasi versuchte, die Kinder als Schwachstelle zu missbrauchen. Häufig drohten Vernehmer den Frauen, dass im Falle einer Inhaftierung die Kinder unter Obhut des Staates gestellt werden könnten. Oppositionelle nutzen ihr Muttersein aber auch, um sich staatlicher Repression zu entziehen. So gab Almut Ilsen, als sie verhaftet werden sollte, vor, dass ihr Kind krank sei. Die Kinderärztin spielte mit und Almut Ilsen entging der Inhaftierung.

Ein Banner an der Volksbühne macht auf den Frauentreff am 3.12.89 aufmerksam, auf dem der Unabhängige Frauenverband gegründet wurde

Der Unabhängige Frauenverband

Im Revolutionsherbst 1989 ging es um politische Teilhabe, die auch die Frauengruppen in der DDR für sich reklamierten. Nach dem Mauerfall wollten die Frauen den Umbruch in der DDR aktiv mitgestalten und auch spezifisch weibliche Interessen einbringen. Dazu gehörte für sie u. a. ein Festhalten am Abtreibungsrecht der DDR, das frauenpolitisch deutlich liberaler war als das bundesrepublikanische. Sie strebten aber auch eine stärkere Parität in zukünftigen Regierungen an. Um ihren Forderungen mehr Gewicht zu verleihen, riefen einige Frauen zur Gründung eines Dachverbands für die unabhängigen Frauengruppen auf. Am 3. Dezember 1989 kamen rund 1.200 Frauen aus über 60 Gruppen in die Berliner Volksbühne und gründeten den „Unabhängigen Frauenverband“ (UFV). Auch einige Frauen aus dem „Demokratischen Frauenbund Deutschlands“ (DFD) und anderen staatlichen Organisationen waren dabei. Als Gründungsdokument gilt das von der Wissenschaftlerin Ina Merkel verfasste „Manifest für eine autonome Frauenbewegung“.

Bereits vier Tage später, am 7. Dezember 1989, schickte der UFV zwei Vertreterinnen an den „Zentralen Runden Tisch“. Zu den Volkskammerwahlen am 18. März 1990 trat der UFV zusammen mit der „Grünen Partei der DDR“ in einem Wahlbündnis an. Von den acht erzielten Mandaten ging jedoch keines an den UFV. 1998 löste sich der Verband auf.

Fazit

Nicht nur in der DDR, auch in anderen sozialistischen Staaten lehnten sich Frauen gegen das Regime auf. So waren Frauen ein wichtiger Teil der polnischen Solidarność-Bewegung. Und auch der Charta 77, der tschechoslowakischen Bürgerrechtsbewegung, gehörten zahllose Frauen an. Sie alle standen häufig eher im Hintergrund, viele von ihnen verschwanden regelrecht hinter ihren berühmten Ehemännern.

In den vergangenen Jahren ergriffen immer mehr Frauen das Wort und redeten über ihr Engagement gegen das SED-Regime. Im Jahr 2019 erschien mit „Seid doch laut!” eine umfassende Sammlung an Erfahrungsberichten der Frauen für den Frieden. An vielen Stellen wird deutlich, dass das Engagement der frühen 1980er-Jahre ihnen den Weg in den Kampf des Revolutionsherbstes 1989 geebnet hat. Außerdem wird deutlich, dass sich frauenspezifisches und geschlechtsübergreifendes Engagement in vielen Punkten überschneidet, das die Abgrenzungen nicht so eindeutig sind. Die Friedliche Revolution wäre ohne die engagierten Frauen, egal ob in geschlechtsspezifischen oder allgemeinen Gruppen, nicht möglich gewesen.

Bärbel Bohley spricht bei der Demo am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz

Weiterführende Links

  • Berlin in Bewegung – Interviewprojekt zur Geschichte der Frauenbewegung in Berlin, u. a. Interviews mit Akteurinnen der Friedlichen Revolution: https://www.berlin-in-bewegung.de/